Sonntag, 4. Juli 2010

Deflation: Gibt es eine Lehrbuch-Definition?

Deflation, der böse Zwilling der Inflation wirft seinen hässlichen Kopf mit grosser Seltenheit zurück. Sie wurde seit fast 80 Jahren nicht mehr gesehen und es gibt keinen Ausschuss, der ihre Rückkehr erklären kann wie der Ausschuss von NBER (National Bureau of Economic Research) es mit wirtschaftlichen Kontraktionen tut, schreibt Daniel Gross (hat tip Mark Thoma) in einem lesenswerten Essay („Deflation Nation. What’s so bad about falling prices?“) in Slate. Ökonomen sind sich einig, dass die Deflation einen weit verbreiteten Rückgang der Preise darstellt, gemessen am Verbraucherpreis-Index (CPI). „Ich weiss nicht, ob es eine Lehrbuch-Definition von Deflation gibt. Aber ich würde Deflation nicht ankündigen, bevor ich die Verbraucherpreise ein volles Jahr nicht fallen sehe“, sagt Brad DeLong, Wirtschaftsprofessor an der University of California in Berkeley. Der CPI beträgt in den USA annualisiert 2,0%. Nach dem sie im April um 0,1% und im Mai um 0,2% gesunken ist, verläuft sie seit 5 Monaten flach, erklärt Gross.

Was ist so schlimm mit der Deflation? Immerhin ist es eine angenehme Überraschung, wenn die Preise der Produkte fallen, argumentiert Gross weiter. Generationen von Wirtschaftsstudenten und Zentralbanken wurden geschult, zu denken, dass die Inflation der grosse „Boogeyman“ ist, weil sie den Wert der Einsparungen wegerodiert. Für einen grossen Teil unseres Lebens war die moderate Inflation die Norm, erläutert Gross. Nun stellt es sich heraus, dass es gute und schlechte Deflation gibt. Schlechte Deflation ist die Art, wie wir sie in der Grossen Depression hatten. „Das letzte Mal hatten wir eine wirklich signifikante Deflation in den USA in den 1930er Jahren erlebt“, schreibt Michael Borde, Wirtschaftsprofosser an der Rutgers University. Zwischen 1929 und 1933 sind die Preise im Durchschnitt um 15% gefallen. Diese Deflation war durch einen Rückgang der Produktion, der Nachfrage und des Kredits („zu wenig Geld und Löhne jagen zu viele Güter und Arbeitnehmer“) angetrieben worden. Die Krater-Bildung der Löhne und Preise in der Depression-Ära war katastrophal, weil Unternehmen und Verbraucher weniger in der Lage waren, ihre Schulden zu bedienen.

Es gab aber auch Perioden von guter Deflation, in denen die Preise fielen, obwohl die Wirtschaft boomte. In den 1920er Jahren, bekannt als „Roaring 20’er“, wegen der wirtschaftlichen Dynamik, fielen die Preise um etwa 1,0% jährlich. Zwischen 1870 und 1896 fielen die Preise durchweg unter rasches Wirtschaftswachstum, mit vielen Höhenflügen und Abstürzen auf dem Weg. Der Grund: Innovationen wie die Eisenbahn, Telegraph, Strom und das Fliessband haben Landwirten, Unternehmern und Herstellern geholfen, das, was sie produziert haben, billiger und effizienter zu versenden.

Um ein Urteil über die Deflation zu fällen, hängt teilweise davon ab, auf welcher Seite der Bilanz man sitzt und was in der breiten Wirtschaft los ist, erklärt Gross. Kreditnehmer mit festverzinslichen Darlehen wie die Regierung und viele Unternehmen und Hausbesitzer jubeln i.d.R. wegen Inflation und sich sorgen wegen Deflation. Wenn Löhne und Preise jedes Jahr moderat wachsen, ist es einfacher, mit bestehenden Schulden umzugehen. Und wenn es viele ungenutzte Kapazität und Fabriken mit geschlossenen Fensterläden und eine grosse Zahl von Arbeitslosen gibt, dann kann ein wenig Inflation das sein, was der Arzt verordnet. Ständig sinkende Preise wirken jedoch als Hemmnis für Investitionen und Risikobereitschaft, erläutert Gross weiter. Darüber hinaus glauben viele Ökonomen und die meisten Zentralbanken, dass die ideale Inflationsrate leicht über Null liegt. „Die Erfahrung zeigt, dass eine Inflationsrate von rund 2 oder 3% der Wirtschaft hilft, um bei vollem Potenzial mit maximaler nachhaltiger Beschäftigung zu funktionieren“, sagt Joseph Gagnon, ein Senior Fellow bei Peterson Institute for International Economics. Die nächsten Zahlen über den CPI kommen Mitte Juli heraus. Eine negative Zahl würde einen dritten Rückfall in Folge verbuchen und damit sicherlich die Debatte über die Deflation anheizen, ist Gross überzeugt. Die historischen Daten zeigen, das wir seit den 1930er Jahren keinen Preis-Rückgang vier Monate in Folge gesehen haben, bemerkt der Moneybox Kolumnist bei Slate und Business Kolumnist für Newsweek. „Angesichts der Risiken einer Deflation sollten wir aber den CPI nicht isoliert betrachten“, schlussfolgert Gross.

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