Samstag, 28. April 2012

Dynamischer Kapitalismus versus Sozialstaat


Mark Thoma befasst sich in einem lesenswerten Artikel („The Choice: Dynamic Capitalism vs. The Welfare State“) in The Fiscal Times mit den gängigen Themen zum Vergleich von „USA und Europa“ im Hinblick auf das Wirtschaftssystem.

Die Verfechter des Ansatzes „free-market“ argumentieren, dass Europa weniger flexibel und dynamisch ist als die USA, weil es stärker auf die Sozialversicherung, den Arbeitnehmerschutz und damit hohe Steuersätze angewiesen sei, um all diese Programme zu unterstützen.

Es gibt hier einen stillschweigenden Kompromiss (trade-off), bemerkt der an der University of Oregon lehrende Wirtschaftsprofessor. Die Arbeitnehmer haben im US-System weniger Schutz und stehen daher auch mehr Unsicherheit gegenüber als in Ländern, wo der Schutz allgemein verbreitet ist. Es gibt im Gegenzug zwei Vorteile, die die Verfechter des Ansatzes „free-market“ hervorheben, wenn auf die Sicherheit verzichtet wird.

(1) das Wirtschaftswachstum wird grösser. Die Wirtschaft sei frei, mit weniger Einmischung durch den Staat, niedriege Steuern, und Gewerkschaften, die alles andere als anwesend sind, das Wachstumspotenzial zu erreichen.

(2) die Wirtschaft werde stabiler. Wenn ein grosser Schock die Wirtschaft trifft, sind die USA in der Lage, mit neuen, produktiven und gut bezahlten Jobs Vollbeschäftigung schneller wieder herzustellen als in Ländern, wo es grösseren sozialen Schutz gibt.

Wenn die beiden Vorteile gross genug sind, dann lohnt es sich, Sicherheit gegen Dynamik, Flexibilität und ein höheres Wachstum einzutauschen. Hat die Wirtschaft aber die beiden Vorteile, die versprochen worden sind, eingehalten?

Die US-Wirtschaft hat vor der Great Recession die Wirtschaft Europas in Sachen Performance übertroffen. Der Unterschied ist aber relativ klein und in den letzten 10 Jahren rückgängig, unterstreicht Thoma. Aber wenn auch das Wachstum in den USA etwas grösser ausfiel als in Europa, gingen die Vorteile nicht zugunsten der privaten Haushalte, die die grössten Zuwachs an Unsicherheit erlebten. Die Nutzniesser waren grösstenteils Top 1%.

Die US-Wirtschaft hat es während der Krise besser gehabt als einige europäische Länder, aber schlechter als andere. Die US-Arbeitslosenquote ist in den USA höher gestiegen als in Deutschland, den Niederlanden, Österreich, Belgien, Dänemark, Finnland und Schweden. Aber die US-Arbeitslosenquote war um einiges niedriger als in Griechenland, Spanien, Irland und Portugal, etwas niedriger als in Italien und ählich hoch wie in Grossbritannien.

Mit solch einem gemischten Ergebnis ist es schwierig, die Behauptung zu unterstützen, dass der „free-market“-Ansatz seit den 1970er Jahren das Versprechen in Bezug auf dynamischere, flexiblere und schneller wachsende Wirtschaft erfüllt, betont Thoma. Und es ist noch schwieriger, dafür einen schlagenden Beweis zu liefern, wenn man über die Deregulierung der Wirtschaft nachdenkt, die zu einer Spekulationsblase auf dem Immobilienmarkt geführt hat.

Es gibt sehr wenig Zusammenhang zwischen der Grösse des Sozialstaates und der anschliessenden Staatsverschuldung. Es gibt in der Tat einiges an Heterogenität in ganz Europa, argumentiert Thoma. Ländern mit den grössten sozialen Wohlfahrtsstaaten wie Dänemark, Schweden und Deutschland erging es in der Rezession besser, während diejenigen Staaten mit den kleinsten wie Griechenland und Italien in mehr Schwierigkeiten geraten sind. Ein grösserer Wohlfahrtsstaat hat nicht zu einer Staatsschuldenkrise geführt, sondern einen erheblichen Schutz während der Rezession geboten und deutlich besser abgeschnitten als in den USA.

Thoma plädiert nicht dafür, Europa zu imitieren. Was in Europa funktioniert, muss nicht möglicherweise in den USA direkt anwendbar sein. „Es gibt aber Lehren zu ziehen, wenn wir das Augenmerk nach den richtigen Stellen richten, z.B. flexicurity in Dänemark und job-sharing in Deutschland. Wir haben durchaus noch Raum für Verbesserungen“, fasst Thoma zusammen.

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