Sonntag, 29. April 2012

Europas Austerität-Politik


Europäische Politiker kapieren es einfach nicht, schreibt Christina Romer in einem lesenswerten Artikel („Hey, Not So Fast on European Austerity“) in NY Times am Sonntag.

Wenn man ihnen zuhört, könnte man meinen, dass Europa auf dem richtigen Weg sei. Angeschlagene Länder brauchen nur mehr vom Gleichen: mehr Sparmassnahmen (fiscal austerity), mehr Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt, mehr Preisstabilität und die Euro-Krise würde sich unterkriegen lassen, schildert die an der University of California, Berkeley lehrende Wirtschaftsprofessorin.

Haben die Entscheidungsträger mal einen Blick auf ihre eigenen Zahlen geworfen? Es ist mittlerweile zwei Jahre her, als die Austerität gestartet wurde. Die Krise ist immer noch da. Das Wachstum des europäischen Bruttoinlandsproduktes war im letzten Quartal 2011 negativ, hebt die ehemalige Wirtschaftsberaterin des Präsidenten Obama hervor.

Die Arbeitslosigkeit beläuft sich in der gesamten Euro-Zone per Februar auf 10,8%. In Spanien ist die Arbeitslosenquote auf 23,6% geklettert. Und die erneuten Turbulenzen an den Anleihemärkten legen nahe, dass die Investoren nicht daran glauben, dass die Erholung gleich um die Ecke beginnen würde, argumentiert Romer.

Sparmassnahmen sind i.d.R. eine sinnvolle Reaktion auf einen Verlust des Vertrauens in die Zahlungsfähigkeit eines Landes, wie es in Teilen Europas geschehen ist. Aber die gegenwärtige Situation ist aussergewöhnlich: (1) kurzfristige Zinsen sind sehr niedrig, sodass es unmöglich ist, durch Zinssenkungen die negativen Auswirkungen von Haushaltskürzungen auszugleichen, und (2) die Euro-Zone-Staaten haben nicht eine eigene Währung. Sie können also das Wirtschaftswachstum nicht via Währungsabwertung ankurbeln.

Wenn die „Gürtel-enger-schnallen“-Politik nicht funktioniert, was ist zu unternehmen? Prof. Romer befürwortet einen sinnvollen Ansatz: die Haushaltsmassnahmen jetzt zu passieren, aber die tatsächlichen Steuererhöhungen und die Ausgabenkürzungen nur allmählich umzusetzen, wenn die Wirtschaft beginnt, sich zu erholen.

Die ökonomische Terminologie dafür ist back-loaded. (Das heisst, dass die Massnahmen, die im Allgemeinen schwere Belastungen oder Erleichterungen beinhalten, erst gegen Ende der Laufzeit anfallen. Im Gegensatz zu front-loaded Massnahmen). Ausserdem sollen Massnahmen spezifisch sein. Das heisst keine Zielwerte im Hinblick auf das Haushaltsdefizit, ohne besonders zu bestimmen, wie die Ziele erreicht werden sollen. Welche Steuern erhöht werden und welche Ausgaben gekürzt werden, sollen besonders festgelegt werden.

Können aber solche Pläne in der Praxis funktionieren? Romer verweist als praktische Beispiele auf die Social Security-Reform in den USA 1983, den Defizitabbau in Schweden 1995 und die Haushaltskonsolidierung in Australien 1996.

Die Märkte mögen keine kontraproduktive Massnahmen, unterstreicht Romer. Was für die Glaubwürdigkeit zählt, ist die Art und Zusammensetzung der Massnahmen in Sachen Steuern und Ausgaben und die Klarheit im Zeitplan.

Weitere Schritte könnten auch helfen, damit die Märkte in den notleidenden Ländern einem schrittweise erfolgenden Ansatz folgen. Wenn die Behörden eine allmählich stattfindende Haushaltskonsolidierung nahelegen und die angeschlagenen Volkswirtschaften in der Euro-Zone unterstützen würden, würden sich die Zinsen wahrscheinlich zurückbilden, erläutert Romer.

Wenn das nicht funktioniert, könnte die EZB grosse Mengen an Staatsanleihen von Italien und Spanien kaufen. Die Risiken, die die EZB auf ihre Bücher nimmt, wären angesichts der back-loaded Konsolidierungspläne nicht schwer zu bewältigen.

Eine expansive Geldpolitik könnte helfen, um diese Länder wettbewerbsfähiger zu machen. Die europäischen Politiker sprechen von Strukturreformen, um angeblich die Flexibilität des Arbeitsmarktes zu erhöhen und die Regulierung weiter abzubauen. Da die Inflation aber in Europa im Allgemeinen sehr gering ist, erfordert eine solche Strategie in den angeschlagenen Volkswirtschaften Lohnkürzungen. Die Nominallöhne sind jedoch nach unten starr. Wenn die EZB laut Romer eine etwas höhere Inflationsrate für ein paar Jahre zulassen würde, beispielsweise 3%, könnten die genannten Länder wieder Wettbewerbsfähigkeit erlangen, was helfen würde, das Exportgeschäft anzukurbeln.

Ferner könnten die Länder, die nicht in Not sind, sowohl innerhalb als auch ausserhalb von Europa, durch die Förderung der eigenen Wirtschaft mehr tun. Deutschland hat beispielsweise ein relativ bescheidenes langfristiges Haushaltsdefizit und einen enormen Aussenhandelsüberschuss. Eine Steuersenkung für die deutschen Verbraucher würde die Binnennachfrage zu einem Zeitpunkt ankurbeln, während das Wachstum schleppend ist, und auf diese Weise die Importe aus den Handelspartnern erhöhen, um das Wirtschaftswachstum dort zu fördern.

Das zentrale Element des Ansatzes ist Dynamik, betont Romer als Fazit: glaubwürdige Pläne, um die Finanzierungskosten zu senken und die langfristigen Haushaltsprobleme anzugehen. Keine Sparmassnahmen, die die Arbeitslosigkeit erhöhen und auf dem Wirtschaftswachstum lasten, gerade dann, wenn die Volkswirtschaften Wachstum benötigen.

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