Montag, 12. November 2012

Defizit-Falken und Heuchler


Die selbsternannten Defizit-Falken (deficit hawks) haben im Jahr 2010 viel von der politischen Diskussion Besitz ergriffen, schreibt Paul Krugman in seiner lesenswerten Kolumne („Hawks and Hypocrites“) am Montag in NYTimes.

In einer Zeit der Massenarbeitslosigkeit und der rekord-niedrigen Finanzierungskosten, einer Zeit, wo die Wirtschaftstheorie besagt, dass mehr, nicht weniger deficit spending nötig ist, haben die Schimpfer die meisten der politischen Klasse überzeugt, dass das Haushaltsdefizit, nicht die Beschäftigung die oberste Priorität sein müsse. Und jetzt, wo die Wahl vorbei ist, versuchen sie, dort, wo sie aufgehört haben, weiterzumachen, legt der Träger des Wirtschaftsnobelpreises dar.

Ihnen sollte gesagt werden, dass sie verschwinden, so Krugman. Die jüngsten Ereignisse zeigen deutlich, was für aufmerksame Beobachter bereits offensichtlich war, dass die Defizit-Schimpfen-Bewegung nie wirklich mit dem Defizit zu tun hatte. Es geht im Grunde genommen darum, via die Angst-Debatte im Hinblick auf das Haushaltsdefizit das Netz der sozialen Sicherheit zu vernichten. Und es passieren zu lassen, wäre nicht nur eine schlechte Politik, sondern auch ein Verrat an die Amerikaner, die gerade einen Präsidenten als Gesundheit-Reformer wiedergewählt und für einige der fortschrittlichsten Senatoren die Stimme abgegeben haben.

Was die Heuchelei der Defizit-Falken betrifft, bemerkt Krugman, dass es seit Jahren offensichtlich war. Man denke an die Auszeichnung „fiskalpolitische Verantwortung“ von Anfang 2011, die von drei der führenden Defizit-Schimpfen-Organisationen an niemanden anders als Paul Ryan verliehen wurde. Ryans Plan zum Abbau des Haushaltsdefizits war offensichtlich ein Schwindel. Aber in den Augen von Defizit-Falken qualifizierte der Plan, Medicare und Medicaid heftig zu kürzen, Ryan als Fiskal-Ikone.


US-TIPS (10Jahre) Rendite, „Fiskalkrise innert 2 Jahren?“, Graph: Prof. Paul Krugman

Bemerkung: Erskine Bowles hatte davor gewarnt, dass in den USA innert 2 Jahren eine Fiskalkrise ausbrechen würde, wobei die Zinsen durch die Decke schiessen würden.
PS: TIPS sind inflationsgeschützte US-Staatsanleihen

Und dann kommt die Frage der „fiscal cliff“. Im Gegensatz zu der Art und Weise, wie sie geschildert wird, geht es bei Ausgabenkürzungen und Steuererhöhungen nicht um eine Fiskal-Krise. Es ist eine politische Krise, die auf den Versuch der GOP zurückgeht, um die Wirtschaft in Geiselhaft zu nehmen.

Krugman ist überrascht, wie ernst die Begeisterung über den Vorschlag, Tim Geithner mit Erskine Bowles zu ersetzen, zu nehmen ist. Aber es ist noch in Erinnerung, dass Bowles einer Panikmache frönte, als er vor einer unmittelbar bevorstehenden Fiskal-Krise warnte, welche aber nicht auftaucht. Unterdessen sollte sich der Bericht, den Bowles mit verfasste, auf Defizitabbau konzentrieren. Doch fordert er tiefere, statt höhere Steuersätze als Leitprinzip. Bowles als Finanzminister zu ernennen wäre eine schlechte Idee und eine Ohrfeige für die Menschen, die Obama wieder ins Amt gebracht haben, hält Krugman fest.

Der an der University of Princeton lehrende Wirtschaftsprofessor plädiert stattdessen für eine seriöse Diskussion über Amerikas finanzpolitische Zukunft. Aber eine ernsthafte Diskussion ist genau das, was in den vergangenen Jahren nicht stattgefunden hat, weil die Diskurse durch die falschen Leute mit falscher Tagesordnung entführt werden. Ihnen sollte jetzt die Tür gezeigt werden.

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