Samstag, 29. Oktober 2016

Reality Check: Der private Verbrauch im Euro-Raum

Die Forscher deuten in diesen Tagen im Allgemeinen für die sanfte Erholung der Konjunktur im Euro-Raum auf die Auslandnachfrage und eine „Stabilisierung der Zuwachsrate des privaten Konsums“ hin. Es heisst, dass der Verbrauch von der Aufhellung am Arbeitsmarkt profitiere.

Eine von der EZB am Freitag vorgelegte Analyse betont hingegen, dass die Konsumausgaben heute um 4,1% höher liegen als im Tiefstpunkt im ersten Quartal 2013, während die Investitionen seither um 7,7% gestiegen sind.

Der Vergleich zu den vorangegangenen Rezessionen zeige, dass es der private Konsum ist, der mehr Stimulus braucht.

Die Entwicklung der Investitionen in der gegenwärtigen Phase der Konjunktur sei nicht ungewöhnlich. Vielmehr handelt es sich dabei um einen langsamer wachsenden gesamtwirtschaftlichen Konsum als üblich. Und das ist für die europäischen Entscheidungsträger wesentlich, was die Ankurbelung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage betrifft, lautet das Fazit der Forschungsarbeit.  


Verlauf der Konsumausgaben im Euro-Raum nach der Talsohle der Rezession, Graph: ECB Research Paper: „The recovery of investment in the euro area in the aftermath of the Great Recession“, by Philip Vermeulen, Oct. 2016

Donnerstag, 27. Oktober 2016

Irrtum Theorie und Arbeitslosigkeit

Da die Makro-Modelle, die den Finanzmarkt nicht erfassen, gescheitert sind, im Vorfeld der Krise die Warnzeichen zu erkennen, gab es im Nachspiel der Finanzkrise von 2008 eine Reihe von Menschen, die mit der Makroökonomie hart ins Gericht gingen. 

Nun fast ein Jahrzehnt später melden sich manche renommierten Makroökonomen tatkräftig zu Wort. Anstatt sich über den Inhalt der Modelle zu beklagen, knüpfen sie sich die vorherrschende Kultur des Berufstands vor, wie Noah Smith in seiner Kolumne bei Bloomberg-View beschreibt.

Der prominenteste Kritiker ist sicherlich Paul Romer, der neue Chefvolkswirt der Weltbank und der ehem. Wirtschaftsprofessor an der Stanford und New York University

Das Fachgebiet ist heute wie eine Religion als eine wissenschaftliche Disziplin geworden, argumentiert Romer in seiner jüngsten Forschungsarbeit („The Trouble with Macroeconomics“). Seiner Ansicht nach verlassen sich Makroökonomen beim Aufbau ihrer Modelle auf die Tradition und die überkommene Weisheit. 

Smith hingegen teilt Romers Kritik nicht ganz und behauptet, dass das grundlegende Problem mit der Makroökonomie der Mangel an Daten sei, weshalb sich die Streitigkeiten im Gebiet in die Länge ziehen.


Euroraum BIP Wachstum, Graph: Morgan Stanley

Mittwoch, 26. Oktober 2016

Draghi hat das Wort in Berlin

Mario Draghi hat in einem Vortrag („Stability, Equity and Monetary Policy“) im Rahmen einer vom DIW Berlin organisierten Veranstaltungsreihe die Geldpolitik (Zinssenkung und Ankauf von Anleihen am offenen Markt) der EZB in Schutz genommen. EZB-Präsident hat mit Nachdruck unterstrichen, dass die drastischen Massnahmen die Kluft zwischen Reich und Arm nicht verbreitet hätten.

„Wir haben allen Grund zu der Annahme, dass die geldpolitischen Impulse der jüngsten Massnahmen unserer Geldpolitik durch die Förderung von Konsum und Investitionen und die Schaffung von Arbeitsplätzen, die immer sozial progressiv sind, wie erwartet funktioniert haben“, so Draghi in Worten.

Die Niedrigrenditen sind nicht nur eine Hinterlassenschaft der Krise, die seit 2008 auf der Weltwirtschaft lastet. Die langfristigen Zinssätze befinden sich in den vergangenen 30 Jahren weltweit in einem Abwärtstrend.

Die Triebfeder sei der Erfolg der Zentralbanken in den fortgeschrittenen Volkswirtschaften, die Preisstabilität zu gewährleisten und die Inflationserwartungen zu verankern. Der Rückgang der Inflationserwartungen und der Inflationsrisikoprämie hätten sich somit in den langfristigen Zinssätzen eingebettet. Die Zähmung der Inflation erkläre einen grossen Teil des anfänglichen Rückgangs der Nominalrenditen in den 1980er und 1990er Jahren.

Es gebe aber auch mehr besorgniserregende Faktoren, die hinter dem Rückgang der Nominal- und Realrenditen stecken. Draghi unterstreicht vor diesem Hintergrund im Wesentlichen drei Hauptfaktoren:


Verlauf der Zinsen in den fortentwickelten Volkswirtschaften (gemessen an der Rendite der Staatsanleihen mit 10 Jahren Laufzeit), Graph: Mario Draghi, EZB in Berlin, Oct 25, 2016.


Dienstag, 25. Oktober 2016

Nicht Schuldenbremse, sondern Schulden sind gefragt

Der annualisierte Konsumentenpreis-Index (CPI y-o-y) sinkt und bleibt hartnäckig unter dem langfristigen Durchschnitt, in den USA seit 2012 und in Europa seit 2009.

Es wäre grundsätzlich nicht falsch, den Langzeitdurchschnitt oder den Median-Wert als Proxy zu verwenden, um die folgende Abbildung zu präsentieren, schreiben Analysten von Morgan Stanley in einer am Montag vorgestellten Studie.

Und Inflationserwartungen gemessen an sog. Breakeven-Sätzen bieten dabei eine gute Metrik darüber, wo die Märkte die Inflation in Zukunft sehen.

Was auffällig ist, dass die EZB die eigene Zielinflationsrate inzwischen seit mehr als 3,5 Jahren unterläuft. Der demographische Verlauf mag dabei auch eine Rolle spielen. Aber die wesentlichen Determinanten dieser Entwicklung sind sicherlich die Ansätze wie EU-Fiskalpakt, Schuldenbremse und die „Schwarze-Null“-Politik.

Und es kann nicht genug betont werden, wie stumpfsinnig es ist, zu argumentieren, dass die Ausgaben heute gesenkt werden müssen, weil die Einnahmen der öffentlichen Hand wegen der langsam wachsenden Wirtschaft nicht mehr sprudeln.

Diesem Gedanken liegt das fehlgeleitete Konzept zugrunde, den Staat wie ein Unternehmen zu betrachten; also die Sichtweise, bei jeder Gelegenheit von der „Schweiz AG“ oder „Deutschland AG“ zu reden. Das ist natürlich ein Trugschluss der Verallgemeinerung.



Der Verbraucherpreis-Index (CPI) in Europa, Graph: Morgan Stanley

Montag, 24. Oktober 2016

Fatal Attraction: Finnland scheint in Austerität verknallt

Finnland will Löhne auf Jahre hinaus einfrieren lassen, um die Produktivität zu erhöhen.

Die finnische Regierung fordert die Bewohner auf, die Gürtel enger zu schnallen, um mit Deutschland und Schweden Schritt halten zu können.

Obendrauf sagt Juha Sipila, Ministerpräsident des Landes, dass Finnland mit seiner Politik der „internal devaluation“ ein Vorbild sei.

Der ganze Bloomberg-Bericht liest sich in der Tat wie ein Witz.

Zur Erinnerung: Finnland hat im Verlauf des Jahres 2016 aufgrund der „schwachen wirtschaftlichen Entwicklung“ bei allen grossen Rating-Agenturen die beste Kreditwürdigkeit „AAA“ verloren.

Finnlands Problem sei, dass das Wachstum auf die Inlandsnachfrage angewiesen sei. Die Exporte sollten wieder der Wachstumsmotor werden, sagt der Ministerpräsident, der ein Millionär ist.

Tatsache ist, dass das zu den Hardlinern der Eurozone zählende Land selbst zum wilden Austeritätskurs der EU-Behörden zum Opfer gefallen ist.


Finnlands Industrieproduktion im August (year-over-year), Graph: Statistic Finland

Samstag, 22. Oktober 2016

Deutsche Sparer, Niedrigzinsen und EZB

Niedrigzinspolitik der EZB steht v.a. in Deutschland heftig in der Kritik. Die EZB wird insbesondere von populistischen Protagonisten stark getadelt. Opfer der EZB-Geldpolitik seien deutsche Sparer, lautet die Behauptung öfters.

Manche populistischen Kritiker reden sogar von „Enteignung der Sparer“. Es ist allerdings ein offenes Geheimnis, dass die Sorge um die Inflation in Deutschland eine Art „politische Währung“ ist.

Ein Blick auf die realen Zinssätze (bereinigt um die Inflation) zeigt ein klares Bild, wie Bloomberg mit dem folgenden Chart unterstreicht: Es hat wenig mit der EZB zu tun.

Seit 1968 (seither wird die Datenreihe von der Bundesbank geliefert) waren die realen Zinsen in Deutschland in

309 Monaten negativ
209 Monaten positiv
58 Monaten null

Mit anderen Worten verloren deutsche Sparer in den meisten der letzten 48 Jahren Geld.



Der Verlauf der Realzinsen in Deutschland, Graph: Bloomberg

Freitag, 21. Oktober 2016

Inflationsziel und Löhne


Ein Bild sagt mehr als tausend Worte.

Die folgende Abbildung zeigt, dass die Kerninflation in den USA steigt, wenn die Arbeitslosigkeit sinkt.

Wink mit dem Zaunpfahl: Die Arbeitslosigkeit steigt, wenn die Löhne fallen.

Europas Lösung besteht daher darin, die Löhne zu erhöhen, damit die erhöhten Kosten via Löhne auf die Verbraucherpreise übergehen. So können auch Unternehmen ihre Gewinnmargen beibehalten. Und die EZB erfüllt das eigene Inflationsziel.

Die Faustregel für die Löhne ist aber, dass sie entsprechend der Produktivität plus die von der EZB angestrebte Inflationsrate steigen.

Eine höhere Inflationsrate bedeutet zudem eine schnellere Schuldenreduktion des Staates in realer Hinsicht. Die Politik der Austerität hat aber bisher bei fehlender Inflation zu einem Anstieg der öffentlichen Schulden geführt als zu einem Rückgang.



US-Kerninflation steigt im Einklang mit dem Rückgang der Arbeitslosenquote, Graph: Morgan Stanley

Donnerstag, 20. Oktober 2016

EZB mit Ziel und ohne Inflation

Am Anleihemarkt dominiert die Erwartung, dass die erste Zinserhöhung durch die EZB nicht vor dem Jahr 2021 stattfindet. Es ist daher kein Wunder, dass das Tapering-Gerücht der vergangenen Woche (die schrittweise Rückführung der Anleihekäufe) in der Eurozone schnell verflogen ist.

Die Euro-Bond Strategen von Morgan Stanley rechnen vor diesem Hintergrund mit dem Ende der europäischen QE-Politik nicht vor zwei Jahren vor dem genannten Datum.



Laut Anleihemärkten kommt die erste Zinserhöhung in der Eurozone nicht vor dem Jahr 2021 zustande, Graph: Morgan Stanley

Mittwoch, 19. Oktober 2016

Das wehmütige Gejammer um Niedrig-Zinsen

Der Markt-Wert der Anleihen mit Negativ-Rendite ist inzwischen die zweite Woche in Folge geschrumpft. Gegenwärtig beträgt der gesamte Wert 10'400 Mrd. USD (10,4 Billionen USD).

Seit dem 30. September hat sich der Wert der festverzinslichen Anleihen mit einer Rendite weniger als Null Prozent um 13% verringert, wie Bloomberg meldet.

Japan hat einen Anteil von 51% daran; rund 44% entfällt auf West-Europa (Deutschland, Frankreich, die Niederlande, Spanien, Belgien und Italien). Der Anteil der USA (22 Mrd. USD) beläuft sich auf 0,2%, d.h. weniger als die Hälfte des britischen Anteils (50 Mrd. USD)



Der Markt-Wert der Anleihen, die mit einer Negativ-Rendite gehandelt werden, beläuft sich weltweit zur Zeit auf 10'400 Mrd. USD, Graph: Bloomberg

Dienstag, 18. Oktober 2016

Deutschland und die Schweiz auf der US-Monitoring List

Das US-Finanzministerium vertritt im vergangene Woche veröffentlichten Bericht über die Devisenpolitik der wichtigsten Handelspartner der USA die Ansicht, dass Deutschland nach wie vor über einen erheblichen fiskalpolitischen Spielraum verfügt, um die Nachfrage zusätzlich zu unterstützen. Deutschland könnte demnach auch Massnahmen ergreifen, um die private Investitionen zu fördern, die die Nachfrage animieren würden.

Da Deutschland sowohl einen signifikanten bilateralen Handelsbilanzüberschuss mit den USA hat als auch einen Leistungsbilanzüberschuss weit über der materiellen Schwelle aufweist, steht es auf der sog. „Monitoring List“, die das US-Finanzministerium im April präsentiert hat.

Eine Volkswirtschaft wird in die Überwachungsliste hinzugefügt, wenn sie zwei der drei Kriterien erfüllt. Und sie bleibt auf der Liste für mindestens zwei aufeinander folgenden Berichten, um sicherzustellen, dass Verbesserungen in Performance gegenüber den genannten Kriterien dauerhaft sind und nicht aufgrund von vorübergehenden einmaligen Faktoren erfolgen.

Derzeit stehen ausser Deutschland, auch China, Japan, Korea, Taiwan und die Schweiz auf der „Monitoring List“, wobei keine der erwähnten Volkswirtschaften alle drei Kriterien erfüllt, weshalb das amerikanische Schatzamt keine verstärkte Analyse über das jeweilige Land durchführt.



Leistungsbilanzüberschuss, Graph: US-Finanzministerium in: Oct 2016 Report

Sonntag, 16. Oktober 2016

Um wieviel verschuldet sich die Welt pro Jahr?

OK, zugegeben; das ist eine Fangfrage. Denn die Welt verschuldet sich überhaupt nicht. Die Welt hat ja niemanden, mit dem sie Handel betreiben könnte.

Bei wem soll sich die Welt verschulden? Die Schulden der Welt sind Null, immer Null, zu jeder Sekunde genau gleich Null, wie Heiner Flassbeck im Sommer im Rahmen einer Veranstaltung in einem Referat hervorgehoben hat.

Bemerkenswert ist aber, dass der WEF uns gestern auf Twitter auf ein paar Abbildungen aufmerksam machen will, die angeblich zeigen, wie die Schulden der Welt zuletzt gestiegen sind. Es soll ganz schlimm um die Welt bestellt sein.

Das ist aber absurd. Sehenswert ist hingegen die folgende Abbildung: Finanzierungssalden (*) der Wirtschaftssektoren, die Sparen und Verschulden der ganzen Welt darlegt. Und wichtig ist zu betonen, dass es sich dabei um keine Theorie handelt, nicht einmal eine Meinung, sondern reine Buchhaltung.

Aus dem Chart geht hervor, dass die privaten Haushalte und Unternehmen Netto-Sparer sind: sie haben einen Überschuss (seit praktisch 2000). Und nur das Ausland liegt im Defizit. Die Kurven addieren sich zu Null.



Finanzierungssalden der Wirtschaftssektoren in Deutschland, Graph: Heiner Flassbeck in Makroskop

Samstag, 15. Oktober 2016

Deutschland und Europas törichte Fiskalregeln


Es ist ein offenes Geheimnis, dass Angela Merkel sich wie eine europäische Kanzlerin verhält. Aber es ist auch offensichtlich, dass die deutsche Kanzlerin das besondere Augenmerk auf die deutschen Interessen richtet, wie Ashoka Mody in einem lesenswerten Beitrag („Europe after Merkel“) in Project Syndicate beschreibt.

Wenn beispielsweise der italienische Ministerpräsident Matteo Renzi „Flexibilität“ bei den europäischen Haushaltsregeln sucht, wendet er sich immer noch an Merkel. Die britische Premierministerin Theresa May stattet ihren ersten Besuch Berlin ab.

Aber wer auch immer der nächste deutsche Kanzler wird, er oder sie wird weder von den Deutschen noch von den Europäern als europäischer Kanzler akzeptiert werden, argumentiert der an der Princeton University lehrende Wirtschaftsprofessor weiter.

Und das ist gut so, weil (1) die dummen EU-Haushaltsregeln leichter ignoriert werden können und (2) ein Deutscher als europäischer Kanzler Europa nur noch weiter entzweien würde, so Mody weiter.

Auf Twitter sendet mir Mody mit Nachdruck eine zusätzliche Bemerkung, dass Fiskal-Regeln ökonomisch dumm und politisch zerstörerisch sind.


Der Verlauf des realen BIP im Vergleich, Graph: Peter Praet, EZB, Oct 6, 2016


Mittwoch, 12. Oktober 2016

Das träge Wachstum und der drohende Hysterese-Effekt

Eine der wichtigsten faktischen Gegebenheiten aus dem bisherigen Verlauf der Krise ist ohne Zweifel die empirische Beobachtung, dass die Lohnmoderation die Arbeitslosigkeit nicht senkt. Ganz im Gegenteil: Fallen die Löhne, steigt die Arbeitslosigkeit.

Je länger die Nachfrageschwäche anhält, desto schwerer wird die Last auf dem Potentialwachstum der Wirtschaft. Während die Produktionskapazität abnimmt, verlassen arbeitslose Menschen die Erwerbsbevölkerung.

Seit dem Ausbruch der globalen Finanzkrise (GFC) sind mehr als acht Jahre vergangen. Das BIP ist in allen fortgeschrittenen Volkswirtschaften immer noch weit von dem Vor-Krise-Trend. Und keine aktuelle Prognose deutet darauf hin, dass die Lücke jemals geschlossen würde, wie Antonio Fatas und Larry Summers in einem lesenswerten Artikel in voxeu bemerken.

Mit Bezug auf den 1999-2007 Trend liegt das europäische BIP heute etwa 15% niedriger. Nach IWF-Schätzungen dürfte die Eurozone sogar noch bis zum Jahr 2021 ca. 15% unter dem potentiellen BIP-Niveau verweilen.

Fatas und Summers unterstreichen vor diesem Hintergrund, dass in der Forschung seit den 1980er Jahren die Ansicht etabliert hat, dass Schwankungen hartnäckig sind und möglicherweise dauerhafte Auswirkungen auf das BIP-Niveau entfalten.


Eurozone BIP und Potenzial-BIP, Graph: Antonio Fatas and Larry Summers in: voxeu

Dienstag, 11. Oktober 2016

Das träge Einkommenswachstum in Beschäftigung

Die Gerüchte darüber, dass die EZB angeblich über eine vorzeitige Verringerung der Anleihekäufe nachdenke, hat vergangene Woche einen Anstieg der Renditen der deutschen Staatsanleihen ausgelöst.

Der europäische Bond-Markt geriet unter Druck und das Tapering-Thema ist damit wieder ins Zentrum gerückt. Doch was sich am Markt abspielt, deutet darauf hin, dass die EZB das laufende Programm vorerst um ein halbes Jahr verlängert.

Es ist dennoch schwer, einzuschätzen, wie die Märkte denken, wie lange sich die QE-Politik noch fortsetzen mag. Zur ersten Zinserhöhung um 25 Basispunkte (0,25%) dürfte allerdings laut Future-Märkten erst in der zweiten Hälfte des Jahres 2021 kommen. Damit sind auch die jährlichen Inflationserwartungen zuletzt wieder unter der Marke von 1 Prozent abgerutscht.

Entscheidend für die angesprochene Einpreisung des ersten Zinsanstiegs im Jahr 2021 sind die schwachen Inflationsaussichten (headline inflation). Tatsache ist, dass die EZB die eigene Zielinflationsrate (nahe 2% auf mittlere Sicht) seit vier Jahren unterbietet und nun auch der Trend der Kerninflation (core inflation) sehr schwach verläuft.



Die erste Zinserhöhung durch die EZB dürfte nicht vor der ersten Jahreshälfte 2021 kommen, Graph: Morgan Stanley

Montag, 10. Oktober 2016

Niedrigzinsen, Finanzmarktstabilität und Wachstumsaussichten

Selbst die deutsche Bundesbank hat gemahnt: Die Niedrigzinsen bedrohen die Finanzstabilität.

EZB-Präsident Mario Draghi hat zwar die Niedrigzinsen mehrmals verteidigt: weil Nichtstun grösstes Risiko wäre. Aber die Verfechter der Austeritätspolitik werden nicht müde, zu klagen, dass die Niedrigzinsen Bubbles (auf den Aktien- und Bond-Märkten) auslösen, eine übermässige Risikobereitschaft fördern und damit die Finanzmarktstabilität gefährden können.

Es liegt nahe, zu sagen, dass das geschilderte Szenario nicht völlig ausgeschlossen ist. Denn in den Finanzmärkten ist beinahe nichts unmöglich.

Der deutlichste Grund ist allerdings die historische Erfahrung. Die japanischen Zinsen beispielsweise liegen seit zwei Jahrzehnten nahe Null oder auf Null. Es gab trotzdem keine Anzeichen einer Katastrophe auf den Finanzmärkten, schreibt Noah Smith in seiner Kolumne („Low rates are here to stay“) bei Bloomberg View.

Die Risikobereitschaft blieb bisher gering und es gab keine grossen Blasen. Das heisst, dass Japans Fall deutlich zeigt, dass Niedrigzinsen nicht unbedingt zu einer Instabilität auf den Finanzmärkten führen müssen, so der ehemalige Assistant Professor der Finanzwissenschaft an der Stony Brook University.



Der Verlauf des Realzinses unter verschiedenen Szenarien, Graph: E. Gagnon, B.K. Johannsen and D. Lopez-Salido in: „Understanding the New Normal: The role of demographics“, Fed Washington, Oct 3, 2016.

Sonntag, 9. Oktober 2016

Unsinnige Lohnmoderation und Nachfrageschwäche in Europa

Die folgende Abbildung (das jährliche Lohnwachstum im Euro-Raum) zeigt im Grunde genommen deutlich erkennbar, warum die wirtschaftliche Erholung in Europa nicht vom Fleck kommt.

Denn das Wachstum braucht Konsum und Investitionen als Antriebskräfte. Wenn die Löhne gedrückt werden, gibt es weder genügend Konsum noch Investitionen.

Die von Berlin seit 1999 geförderte und nun für den Rest der Eurozone geforderte Lohnmoderation (*) bleibt aber in der öffentlichen Diskussion leider nur eine Randerscheinung.

Zur Erinnerung: Deutschland hat das nominale Lohnwachstum jahrelang unter dem Niveau der anderen Kernländer der Eurozone gehalten und damit einen grossen Wettbewerbsvorteil errungen.

Dies hatte eine Reihe von Konsequenzen; die vielleicht wichtigste ist, dass die deutsche Wirtschaft, v.a. der Arbeitsmarkt den schweren konjunkturellen Einbruch im Sog der Finanzkrise von 2008 relativ gut verkraftet hat.

Es überrascht nicht, dass hinter der jahrelangen deutschen Lohnmoderation als Theorie die neoklassische Schule steht, wonach die Arbeitslosigkeit durch zu hohe Löhne entstehe und durch Lohnmoderation und Lohnkürzungen gesenkt werden könne.



Das Lohnwachstum (auf Jahresbasis) im Euro-Raum, Graph: Morgan Stanley

Donnerstag, 6. Oktober 2016

Neoklassische Wirtschaftstheorie und Einkommensungleichheit

„Die Reichen sind nicht wie du und ich: sie tragen weit mehr für die Gesellschaft bei als alle anderen“. So lautet eine abgedroschene Aussage, die zuletzt auch Gregory Mankiw benutzt hat. Der an der Harvard University lehrende Wirtschaftsprofessor versucht damit in einem Essay („Defending the One Percent“), die reichsten 1% in Schutz zu nehmen.

Mankiws Lob für talentierte Superstars wie Steven Jobs, J.K. Rowling und Steven Spielberg blüht schnell in ein allgemeines Argument, dass Arbeitnehmer in wettbewerbsfähigen Arbeitsmärkten genau das bezahlt bekommen, was sie verdienen.

Das ist natürlich Musik in den Ohren der Bezieher der hohen Einkommen, und fördert damit einen sehr menschlichen Wunsch, daran zu glauben, dass die Welt gerecht ist, schreibt Nancy Folbre dazu in einem Beitrag für das Blog Washington Center for Equitable Growth.

Dieses Argument basiert auf neoklassischen ökonomischen Theorien, welche die Domäne der menschlichen Wahlmöglichkeiten in engen Bedingungen definieren, und die Auswirkungen von z.B. Pech, schlecht funktionierenden Märkten und Ungleichheiten minimieren, betont die Wirtschaftsprofessorin emeritus an der University of Massachusetts, Amherst.

Mankiws Argument lässt daher Raum für „schlechtes Verhalten“ von Unternehmen, welches in engen Voraussetzungen als „gaming the system“ angesehen wird. Was aber der ehemalige Wirtschaftsberater von Präsident George W. Bush am meisten bedauert, ist die staatliche Einmischung in das System.


Das durchschnittliche Jahreseinkommen von Privatpersonen (25-34 Jahre) in den USA, Graph: Nancy Folbre in: „Just deserts? Earnings inequality and bargaining power in the US economy“, Oct 2016.

Dienstag, 4. Oktober 2016

Anteil der Steuereinnahmen am BIP und Wirtschaftswachstum

Hinter dem Ansatz Austerität steht die neoklassische Schule, die gleichzeitig das Motto pflegt, wonach der Staat immer das Problem und der Markt die Lösung ist. Der Staat soll daher möglichst zurückgedrängt werden. Das neoklassische Paradigma verhindert sogar die Politik, auf den Klimawandel wirksam zu reagieren.

Einer der bekanntesten Einwände, um zu zeigen, in wieweit die öffentliche Hand in die Wirtschaft eingreife, betrifft die Steuern. Die Behauptung ist einfach formuliert: Die starke Steuerlast verringert das Wirtschaftswachstum. Ist es aber wirklich so klar? Nein, keinesfalls.

Charles I. Jones zeigt in einer lesenswerten NBER-Forschungsarbeit (The Facts of Economic Growth), die der Autor bescheiden als working process nennt, anhand von ein paar sehenswerten Abbildungen, dass die Wachstumsraten im 20. Jahrhundert bemerkenswert stabil waren (nach 1950 waren sie eigentlich höher als davor), obwohl der Anteil der Steuereinnahmen am gesamten BIP seit 1980 stets gestiegen ist; von 10% des BIP im Jahr 1929 bis zu mehr als 30% im Jahr 2000.


Wachstumsrate des BIP pro Kopf und die Steuereinnahmen des Staates in den USA, Graph: Charles I. Jones in: "The Facts of Economic Growth"

Montag, 3. Oktober 2016

Preisstabilität, Niedrigzinsen und Investitionen

Preisstabilität bedeutet nicht Null-Prozent Inflation. Sowohl eine zu hohe Inflation als auch eine zu niedrige Inflation kann der Wirtschaft schaden. Das hat Mario Draghi in seinem Vortrag vor dem Deutschen Bundestag vergangene Woche gesagt.

Die EZB handelt, weil die Inflation sich vom Zielwert (nahe 2% auf mittlere Sicht) der EZB entfernt hat. Das bedeutet, dass die Inflationserwartungen in der Eurozone nicht mehr verankert sind.

Wenn die Verbraucher einen weiteren Rückgang der Preise erwarten, stellen sie Anschaffungen zurück und die Unternehmen investieren angesichts der sich verschlechternden Absatzaussichten nicht. Und die Beschäftigung nimmt ab. Wenn die Löhne sinken, steigt auch die Arbeitslosigkeit. 

Und wenn die Abwärtsspirale sich fortsetzt, bricht die Wirtschaft zusammen, weil Berlin und Brüssel gleichzeitig daran festhalten, dass alle Mitgliedstaaten in der Eurozone, koste was es wolle, Haushaltskonsolidierung durchsetzen.

Dennoch werde Stimmen laut, dass die Niedrigzinsen die Sparer belasten. Es ist zwar unbestritten, dass die geldpolitischen Massnahmen Verteilungseffekte auf die Bürger entfalten. Aber es eindeutig die Austerität, die die Zinsen niedrig hält.

Da die Senkung der Leitzinsen nicht mehr ausreicht, um die angestrebte Inflationsrate zu erreichen, die mit der Preisstabilität im Einklang steht, hat die EZB auf unkonventionelle Massnahmen zurückgreifen müssen. Das bekannteste Beispiel ist das Programm zum Ankauf von Vermögenswerten (genannt QE). Die EZB ist aber nicht die einzige Zentralbank, die eine QE-Politik verwendet. Auch die BoE hat ein umfangreiches Anleihekaufprogramm aufgelegt.



Der Wert der Anleihen (weltweit) mit einer Rendite unter Null Prozent, Graph: Bloomberg

Sonntag, 2. Oktober 2016

Die verheerende Bilanz der Austerität

Seit dem Ausbruch der Finanzkrise sind mehr als sieben Jahre vergangen. Das pro-Kopf-Einkommen ist in der Eurozone immer noch nicht über dem Vorkrisenniveau. Und das ist ohne Zweifel auf die verfehlte Wirtschaftspolitik der EU zurückzuführen.

Im Mittelpunkt stand von Anfang an der Ansatz, dass der internationale Handel die Grundlage des Wachstums sei und alle Mitgliedstaaten sich daher so verhalten sollen wie Deutschland:

Das heisst mehr Überschüsse im Aussenhandel erzielen. Dass das Konzept jeder Logik entbehrt, weil der Überschuss des einen das Defizit des anderen ist, braucht nicht näher erläutert zu werden, zumal dadurch die Grundlagen der doppelten Buchführung ignoriert werden.

Für Wachstum bedarf es Konsum und Investitionen. Für die Welt insgesamt gibt es gar keinen Handel, wie Heiner Flassbeck es formuliert. Die Eurozone und die USA sind im Grunde genommen weitgehend grosse geschlossene Wirtschaftsregionen, wo der Handel eine geringe Rolle spielt. Nur eine vernünftige Wirtschaftspolitik kann Wachstum und Entwicklung hervorbringen.



Staatsausgaben in den USA sind auf einem historischen Tiefpunkt, Graph: Morgan Stanley